„Lehrer müssen im Unterricht parteipolitisch neutral bleiben.“ (Sachsens Kultusminister Christian Piwarz, CDU)
Sie werden inzwischen massiv angehalten, eben das nicht mehr zu tun. Wenn der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung BpB, Thomas Krüger (SPD), im ZDF jüngst von „normativer Neutralität“ spricht oder der Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, Andreas Wirschung, es auf dem jüngsten Historikertag wichtig findet, „dass wir uns auch normativ äußern“, ist Neutralität außer Kraft gesetzt.
„Die AfD verletzt mit Äußerungen etwa über Flüchtlinge, Homosexuelle und andere das grundgesetzliche Diskriminierungsverbot. Es ist die Pflicht von Lehrkräften, darauf hinzuweisen.“ (GEW-Bundesvorstand Ilka Hoffmann)
Über Verstöße gegen das Grundgesetz entscheiden ganz allein Gerichte, keine Lehrer, die sich gesinnungsethische Urteile anmaßen. Ihre Aufgabe ist stattdessen, die Positionen aller demokratischen Parteien neutral nebeneinanderzulegen und den Rest den Schülern zu überlassen.
Beispiel Flüchtlinge: Der Ludwigsburger Politikdidaktiker Helmut Däuble hat in der Frankfurter Rundschau präzisiert, „dass in einem Politikunterricht, in dem es um Migrationspolitik geht, das Spektrum der parteipolitischen Standpunkte von der Offenen-Grenze-Position der Linken bis zur Geschlossenen-Tür-Haltung der AfD so dargestellt werden muss, dass diese für die Lernenden nachvollziehbar und abwägend analysierbar sind, und sie so zu einem eigenständigen Urteil kommen können.“
„Was in Politik und Wissenschaft kontrovers diskutiert wird, stellen Lehrkräfte auch im Unterricht kontrovers dar“ (Jens Weichelt, Vorsitzender des sächsischen Lehrerverbandes).
Das ist das Ideal, das die AfD zunehmend verletzt sieht. Selbst die FAZ sieht sich angesichts der Resolution des jüngsten Historikertages zu der Frage gezwungen, wie die pauschale Bilanz, dass Migration als „historische Konstante“ die „beteiligten Gesellschaften insgesamt bereichert“ habe, in „Ausübung historischer Fachkompetenz erstellt“ werden konnte. Das lässt allein für die aktuelle Situation der Geisteswissenschaften das Schlimmste befürchten.
So wollte eine Lehrerin am Beruflichen Schulzentrum für Gastgewerbe Dresden auf einem Arbeitsblatt anhand eines selbstverfassten satirischen Gedichts ernsthaft den Wahlerfolg der AfD erklären lassen. Weiter drohte sie, den Schülern die Note 6 zu geben, wenn diese sich weigern sollten den Arbeitsauftrag zu erfüllen. Piwarz fand zwar die Quellenauswahl bedenklich und rügte formale Fehler des Arbeitsblattes, für die ein Referendar durch die Examensprüfung gefallen wäre, sah aber keinen Anlass für ein Eingreifen.
Aber wo Haltung oberstes Gebot ist, stören Kontroversen nur. Der machtpolitisch nützliche Umgang mit Tatsachen ersetzt den ehrlichen, aus Fakten wird Propaganda. Entsprechende Beispiele aus Hamburg und Berlin sind bei beiden anderen AfD-Fraktionen nachzulesen.
Dem will die AfD Einhalt gebieten.
Die AfD wolle sich zu einer „Überwachungsbehörde in eigener Sache aufschwingen“ (Sachsens Kultusminister Christian Piwarz, CDU)
Das Gegenteil ist richtig. Die massive Einschränkung des öffentlichen Debattenraumes aufgrund einer massiven ideologischen Homogenisierung ökonomischer und politischer Eliten und damit einhergehend auch der Massenmedien unterminiert grundlegend die Bedingungen der Möglichkeit von Demokratie. Demokratie bedeutet die Vergesellschaftung von Herrschaft durch eine ungeteilte Souveränität der Selbstgesetzgebung des Volkes bei strikter vertikaler Gewaltenteilung, und zwar auf der Basis der Anerkennung aller als Freie und Gleiche, ungeachtet ihrer faktischen Differenzen.
Die sich aus einer Pluralität und Heterogenität von Werten und Interessen ergebenden Spannungsbeziehungen müssen für ein politisches Handeln miteinander in Einklang gebracht, also kompatibilisiert werden. Eine Demokratie, die nicht einfach eine Diktatur der Mehrheit ist, ist also auf Prozeduren zur Kompatibilisierung partikularer Interessen angewiesen. Der Austausch zwischen unterschiedlichen Partikularinteressen erfolgt bei Kindern über den öffentlichen Debattenraum Schule. Indem er Beteiligten mit unterschiedlichen Interessen eine Möglichkeit zur Konsensfindung gibt und sie verpflichtet, argumentative Anstrengungen zur Objektivierung ihrer subjektiven Interessen zu unternehmen, ist dieser Debattenraum das Herzstück schulischer Demokratie. Da die jeweiligen Machthaber zwangsläufig ein Interesse daran hatten und haben, die für sie mit der Demokratie verbundenen Risiken zu minimieren, war und ist dieser öffentliche Debattenraum stets massiven Angriffen ausgesetzt – seitens der SED-Diktatur ebenso wie von Seiten der aktuellen Einheitsparteien. Demokratie risikofrei zu gestalten ist mit dem Aufkommen emanzipatorisch-basisdemokratischer Bewegungen wie die AfD für die Machthaber zum Problem geworden.
Demokratie bedeutet im vornehmsten Sinne ungeteilte Volkssouveränität der Gesetzgebung, strikte vertikale Gewaltenteilung und somit die Unterwerfung aller Staatsapparate unter den Willen des Volkes. Nach der nun erfolgten Bedeutungsverschiebung bedeutet „Demokratie“ jedoch nicht mehr Volksherrschaft, sondern – im Gegenteil – Elitenherrschaft und Wahl-Elitenoligarchie, die zu stützen sich Piwarz auf die Fahnen geschrieben hat
Sein sächsisches Wertekonzept rückt die „Erziehung zur Zivilität“, die „Akzeptanz von legitimierter Herrschaft“ oder das Erkennen „gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ mittels „demokratieförderlicher Lernarrangements“ wie etwa „kooperatives Lernen“ in den Fokus. Dabei sollen die Lehrpersonen „im Sinne demokratiebezogener Ziele agieren“, ihre „demokratische Haltung sichtbar und erfahrbar“ und die Fortbildung dazu verpflichtend werden. Liest man die in 22 Seiten gepackten 31 Handlungsempfehlungen genauer, wird die Semantik des genutzten Vokabulars deutlich: Pazifizierung und Gleichmacherei der Schüler, Institutions- und Repräsentanzbezug des Unterrichts sowie eine Demokratiesimplifizierung seitens der Lehrerschaft.
Das nimmt die AfD hin, daher dient die Plattform der Überwachung der Demokratie.
Der „Lehrer-Pranger“ sei „peinlich, unnötig und geschichtsvergessen“. (Sabine Friedel, SPD-Bildungspolitikerin Sachsen)
Das Gegenteil ist richtig. Zum ersten ist die Plattform nicht öffentlich, also kein „Pranger“. Die AfD-Fraktion wird die Fälle überprüfen und dann an die Schule oder das Sächsische Landesamt für Schule und Bildung weiterleiten. Davon abgesehen, ist prinzipiell zulässig, Lehrer zu bewerten. Das hat der Bundesgerichtshof 2009 entschieden, als sich eine Lehrerin gegen eine anonyme Benotung ihrer Person auf dem Portal „spickmich.de“ wehrte.
Zum zweiten aber ist die Plattform gerade mit Blick auf die DDR geschichtsbewusst. Denn wer sich damals nicht im Sinne der „sozialistischen Lehrerpersönlichkeit“, ja überhaupt des sozialistischen Systems äußerte, hatte teils drastische Konsequenzen zu erwarten: der Film „Das schweigende Klassenzimmer“ ist das aktuelle mediale Beispiel. Das Abfetzen von „Ami-Schwurfingern“ als nichtgenehmes Kleidungsaccessoire, das Studierverbot für Abiturienten, die sich nicht zum dreijährigen „Dienst an der Waffe für die Verteidigung der sozialistischen Heimat“ verpflichteten, oder die öffentliche Anprangerung auf Fahnenappellen von Kindern, die sich in irgendeiner Weise nicht systemkonform verhielten, waren die schlimmsten Auswüchse eines Systems, dessen Wiedereinführung die AfD mit allen Mitteln verhindern will und wird.
Nebenbei: Die Gewerkschaft „Verdi“ lieferte gar vor Monaten eine Handlungsanleitung zum Identifizieren und Denunzieren von AfD-Mitgliedern in Unternehmen. Man mag jetzt kritisieren, dass die AfD Gleiches mit Gleichem vergelte. Doch die schleichende Verstaatsbürgerkundlichung sächsischer Schüler muss gestoppt werden. Einerseits werden aufgrund des enormen Lehrermangels in Fächern wie Mathematik, Englisch oder Sport die Stundentafeln gekürzt, andererseits aber die „politische Bildung“ mit dem Konzept „W wie Werte“ ausgebaut, indem bspw. „Gemeinschaftskunde“ statt ab Klasse 9 schon ab Klasse 7 unterrichtet oder im Berufsvorbereitungsjahr ein neuer Kurs „Gemeinschaftskunde“ eingeführt werden soll, für den u.a. der Kurs „Wirtschaftskunde“ halbiert wird. Im selben ZDF-Interview forderte Thomas Krüger gar, dass allen Lehrern ein zusätzliches Modul an politischer Bildung zu verordnen sei, weil man mit dem Blick auf Chemnitz offensichtlich zu nachlässig war.
Das nimmt die AfD nicht hin. Es mag andere Instrumente geben, und es müssen vor allem die Kompetenzen der Eltern entwickelt werden, subtile bis drastische Beeinflussungen zu erkennen, zu widerstehen und ihre Kinder dafür zu sensibilisieren. Aber es ist allein ideologisch motiviert, das Instrument als „pauschal“ zu verdammen (wer sich davon getroffen fühlt, wird Grund dazu haben) – ebenso wie es eine Pauschalverdammung ist, aus einer Funktionärsäußerung auf den Charakter der AfD oder vom Zeigen eines Hitlergrußes auf die Gesinnung tausender Demonstranten zu schließen.
In Anlehnung an Antonio Gramsci lässt sich nämlich feststellen, dass Macht nicht ausschließlich aus „Zwang“ (Gewaltandrohung und -anwendung) besteht, sondern immer auch – in jeweils unterschiedlicher Anteilsgröße – aus Hegemonie im Sinne der weitreichenden Möglichkeit, das Denken und Fühlen der beherrschten Gesellschaftsmitglieder in herrschaftskonforme Bahnen zu lenken. Dazu hat Bildung immer beigetragen. Dieses Selbstverständnis muss aufgebrochen werden; der große Didaktiker Wolfgang Klafki hat schon in den sechziger Jahren gefordert, dass die „Distanz zum herrschenden System“ eins der vornehmsten Bildungsziele der Schule sein müsse. Dem fühlt sich die AfD verpflichtet.
„Es passt ins Bild, dass eine Partei, die Andersdenkende ausgrenzen will, jetzt Plattformen schafft, auf denen man Leute mit anderen Meinungen denunzieren kann.“ (GEW-Bundesvorstand Ilka Hoffmann)
Der Satz ist falsch. Es geht nicht um „andere Meinungen“, sondern um die Durchsetzung des „Beutelsbacher Konsens“, der drei Dinge besagt: Lehrer dürfen Schüler nicht daran hindern, sich ein eigenes Urteil zu bilden (Überwältigungsverbot); sie müssen in Wissenschaft und Politik kontroverse Positionen auch im Unterricht kontrovers vermitteln (Kontroversitätsgebot) und diese Positionen so unterrichten, dass ihre Schüler selbstständig Entscheidungen treffen (Schülerorientierungsgebot).
Eigene Ansichten haben nur dann etwas im Unterricht verloren, wenn die Schüler danach fragen. Es sollte professionellen Pädagogen nicht schwer fallen, ihre private Meinung von ihrem Unterrichtsstoff zu trennen. Ein veganer Geschichtslehrer mag August den Starken ob dessen Trink- und Speisegewohnheiten gern verdammen, aber er hat ihn unabhängig davon historisch zu würdigen.
Dass im Gegenteil andersdenkende Schüler sogar öffentlich ausgegrenzt werden, bewies jüngst der Fall Ida-Marie im pfälzischen Speyer: beim Poetry-Slam unter dem Motto „Zivilcourage“ befand eine Jury, dass ihre migrationskritischen Texte nicht in den gewünschten Rahmen gepasst hätten, und schloss die Schülerin von der Preisverleihung aus. So etwas wird in Sachsen mit der AfD nicht geschehen.
Die Plattform sei „ekelhafte Gesinnungsschnüffelei, wie man sie noch aus Zeiten der Nazi-Diktatur oder von der Stasi kennt.“ (Sachsens Kultusminister Christian Piwarz, CDU)
Das ist ebenso falsch. Da nach sächsischem Verständnis die für politische Entscheidungen geforderte „Rationalität“ nur von geeigneten Experten aufgebracht werden könne, müssten alle Verfahren einer Gesetzgebung und exekutiver Verordnungen durch Vorgaben geeigneter Experten und nicht durch Präferenzen der Bürger geleitet sein. Folglich zeigt sich auf allen politischen Ebenen eine expertokratische Entmündigung und Entmachtung der Bürger und ihrer politischen Vertreter. Wer das ablehnt und stattdessen Bürgerpräferenzen favorisiert, muss sich der falschen Gesinnung zeihen lassen. Derselbe Mechanismus griff in der DDR: ein Politbüro einer Partei legt fest, was für die Bevölkerung bekömmlich war. Der Unterricht war also durch Kontroversitätsverhinderung geprägt. In der Stellungnahme zum AfD-Antrag „Keine Staatsbürgerkunde 2.0“ schrieb Piwarz, in der DDR „sollte eine ‚sozialistische Persönlichkeit‘ geformt werden, die die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung bejaht und verinnerlicht.“ In demselben Duktus könnte man heute schreiben: „In der BRD soll eine ‚kapitalistische Persönlichkeit‘ geformt werden, die die marktkonforme Demokratie als Staats- und Gesellschaftsordnung bejaht und verinnerlicht.“
Das ist mit der AfD nicht zu machen. Das Verhältnis zwischen dem politischen System „Demokratie“ und dem ökonomischen System „Kapitalismus“ ist hochgradig gestört. Von dieser Störung will Sachsens Staatsregierung durch Gesinnungsvorwürfe ablenken – die AfD dagegen will diese Störung beseitigen.